Here is a translation into German of the introduction of my book Histoire du prix Nobel that was published in France in September 2012. François Bourin Editeur, the publisher, and I have not given up the hope to see the whole book translated and published in German. May this introduction help to achieve that goal.
EINLEITUNG
Es ist schon spät.
Nachmittags in Norwegen lässt die winterliche Düsternis die Fenster in immer
undurchsichtigerem grau-blau erscheinen. In der Bibliothek des Nobel-Instituts
klappt einer der regelmässigen Besucher sein Buch zu, ein anderer stellt eine
Zeitschrift an ihren Platz im Regal zurück und schlüpft in seinen Parka. Man
grüsst einander nicht, aber man weiss, die Eifrigsten zumindest wissen es, dass
man einander morgens wieder sehen wird, vielleicht schon um 8 Uhr, bei Öffnung
der Säle. Von nebenan, einem kleineren Raum, hört man noch den Chefbibliothekar
und seine Stellvertreterin rumoren. Bald werden sie das Licht löschen und die
schwere Holztür hinter sich verriegeln.
Was, wenn ich diesmal
nicht ginge? Mehr als nur einmal war mir
der Gedanke gekommen, mich in einer Nische zu verstecken und einsperren zu
lassen. Sicher, es ist nicht sehr vernünftig, die Nacht allein im norwegischen
Nobel-Institut zu verbringen. Darüber hinaus gibt es sicher eine Alarmanlage. Bereits
in der Eingangshalle ist eine Kamera zu sehen. Und doch… Das Komitee, das
alljährlich den weltweit berühmten Friedensnobelpreis vergibt, tagt in
ebendiesem Gebäude, nur eine Etage höher. Die Mehrzahl der Unterlagen, die zur
Auswahl der Preisträger führen, befindet sich hier, irgendwo im Archiv. Eine
Goldmine für Historiker und Forscher, die die Wahl der fünf
nachvollziehen und verstehen wollen, wie es zu welchem Beschluss kam.
Bei meinen ersten
Besuchen der Bibliothek habe ich zufällig herausgefunden, dass der Schlüssel,
den man vom Personal für die Toilette ausgehändigt bekommt, auch eine Tür
gleich daneben öffnet. Nach einem nichtssagenden Vorzimmer gelangt man in einen
weitaus grösseren, reihenweise mit Bücherregalen und Metallschränken gefüllten
Raum. Hier lagern im Halbdunkel schiere Aktenberge, deren Inhalt zu beurteilen
endlose Zeit beanspruchen würde. Zurück an meinem Arbeitsplatz fiel es schwer,
sich nicht Träumereien über die Schätze an diesem verschwiegenen Ort
hinzugeben. Sicher, ein guter Teil davon ist Forschern und Journalisten
zugänglich, sofern sie einen mit einem konkreten Projekt begründeten Antrag
stellen. Aber wie ist es mit den vertraulichen Akten, die vor indiskreten
Blicken geschützt in tiefen Schränken schlummern?
Denn das System, auf dem
alle Nobelpreise beruhen – für Frieden, Literatur, Medizin, Physik und Chemie,
sowie seit 1969 auch Wirtschaftswissenschaften – ist zwar in seiner
Funktionsweise und seinen Regeln transparent. Aber wenn es um die
Entscheidungsfindung geht, ist davon keine Rede mehr. Aus welchen Gründen
erwählen die für die Verleihung der
renommiertesten der Preise zuständigen Gremien diesen oder jenen Kandidaten,
und warum gerade zu diesem Zeitpunkt und nicht jenem? Welche Bedeutung kommt
bei diesem Prozess dem subjektiv-menschlichen Faktor zu? Können bei der Auswahl
der Ausgezeichneten ideologische Vorlieben, persönliche Feindschaften,
freundschaftliche Beziehungen, können prinzipielle Vorbehalte gegenüber
Vertretern der einen oder anderen Nation einfach ausgeklammert werden? Nobelpreise
werden oft als das Nonplusultra der schriftstellerischen Grösse, der
wissenschaftlichen Forschung, als die Krönung eines bedeutenden Engagements
dargestellt, doch kann ihre Vergebung nicht objektiv sein. Dieser Aspekt aber,
den die folgenden Seiten zu erhellen versuchen, ist nicht dazu bestimmt,
ausserhalb der direkt betroffenen Kreise bekannt zu werden. Im Übrigen gibt es
keine Protokolle der Beratungen, die in den verschiedenen für die Auszeichnungen
zuständigen Komitees stattfinden.
Darüber hinaus
haben handverlesene Forscher und
Journalisten erst fünfzig Jahre nach Vergabe der Preise Zugang zu einigen
ausgewählten vertraulichen Dokumenten. Diese historische Puffer-Regelung wurde
1973 von der Stiftung eingeführt, die in Stockholm über das Nobel-Imperium
wacht. Ein halbes Jahrhundert ist eine lange Zeit. So wird man bis 2062 warten
müssen, um zu erfahren, wer 2012 in den verschiedenen Sparten vorgeschlagen,
aber nicht auserkoren wurde; von wem die Vorschläge kamen; mit welchen
Argumenten die Gremien zu ihren Beschlüssen kamen, usw. Dann aber, in fünfzig
Jahren, werden diese Einzelheiten jeder Aktualität beraubt sein und keinen
Anlass mehr zu Kritik geben, so sie nicht von einigen tüftlerischen Forschern
kommt. Man sollte sich allerdings nicht beklagen: vor 1973 kam es überhaupt
nicht infrage, derartig den Deckel vom Nobel-Topf zu lüften. Bis dahin sollte
alles im Verborgenen schmoren, und zwar für immer. So viel zur verklärten
Vorstellung eines offenen und übertransparenten Skandinavien.
Dass das Handeln dieses
Küchenkabinetts jahrzehntelang vor Einblicken von aussen geschützt wurde ist
trotzdem aus Sicht der Nobel-Stiftung logisch und verständlich. Das System der Auswahl beruht auf der Meinung
von aussenstehenden Experten, die von den verschiedenen Gremien konsultiert
werden. Ihre Berichte zu früh zu veröffentlichen könnte der Karriere ihrer
Urheber, insbesondere auf wissenschaftlichen Gebieten, Schaden zufügen. Diese
Diskretion hat darüber hinaus zum Ruf der seit 1901 verliehenen Auszeichnungen für Physik, Chemie, Medizin,
Literatur und Frieden (sowie seit 1969 für Wirtschaftswissenschaften)
beigetragen. Welcher andere Preis wird mit dieser Inbrunst von Verlagen und
Schriftstellern, von der und von der politischen
und diplomatischen Gemeinschaft erwartet? Welcher andere vermag es, dank seines
Medienechos dem Publikum bislang völlig unbekannte Namen nahezubringen? Nobel
ist zu einem Markennamen geworden, einem Synonym für hervorragende Qualität und
dauerhaften Ruhm. Für das Hervorragende, im Fall des Friedenspreises sogar das
Gute schlechthin, wobei letzterer oft eine sehr westliche Auffassung der
Juroren widerspiegelt, die dann kaum mehr den Anliegen des Stifters entspricht
und somit den Unmut der Puristen hervorruft.
Die (mit Ausnahme des in
Norwegen gekürten Friedenspreises) in Schweden
verliehenen Auszeichnungen wollen in jeder der fünf Sparten die
ehren. Oder zumindest was dafür gehalten wird. Denn die
Wahl einiger Preisträger war, wie die folgenden Seiten zeigen, nicht unbedingt
weitblickend. Andererseits wurden verschiedene Persönlichkeiten verschmäht,
obwohl sie durchaus Anrecht auf den Preis hätten geltend machen können. Das
bekannteste Beispiel dafür ist Mahatma Gandhi, der für den Friedensnobelpreis
wurde.
Menschliche, politische
und geostrategische Faktoren kommen wie bereits gesagt ins Spiel. Insbesondere
im Fall des für den Friedensnobelpreis zuständigen Komitees. Es besteht nur aus
fünf Personen, alles Staatsbürger Norwegens, eines reichen Landes, das in einer
freundlich provinziellen Atmosphäre und fern der Sorgen unseres Erdballs selbst
zu Europa Distanz hält (wenn nicht gerade, im gewaltigen Ausnahmefall, ein einheimischer
und selbsternannter wie Anders Breivik am 22. Juli 2011 im
Namen des Kampfs gegen Multi-Kulti zum Terror greift).
Diese fünf des Wahlgremiums werden nicht
immer aufgrund ihrer Kompetenzen in Sachen Aussenpolitik, internationale
Beziehungen oder Sicherheit und Abrüstung berufen. Eigentlich immer weniger.
Und wenn dann ihr Entscheid fragwürdige Preisträger auszeichnet, ist die
Polemik umso lautstarker. Der letzte Fall dieser Art, die Verleihung des
Friedenspreises 2009 an Barack Obama, führte zu einer kleinen Legitimitätskrise
des Komitees und rief eine Debatte über seine Zusammensetzung hervor. Auch
seine Unabhängigkeit kann infrage gestellt warden, so durch China, als der
Dissident Liu Xiaobo 2010 den Preis bekam und den Zorn Pekings hervorrief. Man
muss allerdings nicht in der Haut der chinesischen Regierung stecken, um sich
zu fragen, ob diese Handvoll norwegischer Ex-Politiker am besten in der Lage
ist, eine weltweit berühmte Ehrung zu vergeben.
Auch der Nobelpreis für
Literatur spiegelt manchmal auf allzu klare Weise die Neigungen jener
Mitglieder der schwedischen Akademie wieder, die ihn verleihen. Er ist wohl der
subjektivste der sechs Preise des Nobel-Systems, wie es selbst einige
Akademiemitglieder einräumten, die ich in Stockholm traf. Aber die lange Liste
der Preisgekrönten – ebenso wie jene der nicht Auserwählten – entspricht auch
der Mentalität und den verschiedenen intellektuellen Strömungen, die in
Skandinavien mehr oder minder im Einklang mit den Moden in den anderen Ländern
Europa vorgeherrscht haben. Die langsame Öffnung in Richtung südamerikanischer,
asiatischer und afrikanischer Literatur beginnt erst Ende der 60er Jahre. Ganz
zu schweigen von dem Platz, den die schwedischen den
Frauen zubilligen: Fünfundvierzig Jahre lang, zwischen 1946 und 1991, scheint
nur eine Literatin ihrer Preise würdig gewesen zu sein. Auch hier bekommt die
Idee Skandinaviens als Vorreiter der Geschlechtergleichheit einige Kratzer ab.
Letztlich bleibt
allerdings die Bilanz der Institution Nobel ausserordentlich. Und erfordert, um
sie zu verstehen, eine Beschreibung ihrer Anfänge sowie ihres Gründers, des
Schweden Alfred Nobel, Erfinder des Dynamits. Was treibt ihn zu Beginn der
dazu an, diese Auszeichnungen ausschreiben zu wollen? Die
Bekanntgabe seiner testamentarischen Verfügungen hatte einst in Schweden und
Norwegen zwiespältige Reaktionen hervorgerufen. Heute können die beiden Länder
sich dazu nur beglückwünschen, ruft doch die jährliche Preisverteilung ein
gewichtiges und im grossen und ganzen positives Medienecho hervor. Dies
betrifft insbesondere die Zeremonien der Preisübergabe am 10. Dezember, Nobels
Todestag, in Gegenwart der königlichen Familien. Das von ihm für die geehrten Personen und die
Finanzierung der Verwaltung der Nobel-Maschinerie hinterlassene Vermögen ist
ebenfalls Gegenstand von Neugierde. Wie wird es in dieser Zeit der Wirtschaftskrise
verwaltet? Ist das in Stockholm und Oslo vermehrt praktizierte Zurückgreifen
auf Sponsoren ein Risiko für die Unabhängigkeit der Preise und des
, ein Ausdruck, der in sich selbst die Entwicklung in
Richtung Kommerzialisierung impliziert? Dies sind einige der Fragen, die in diesem
Buch angeschnitten werden sollen. Ebenso wie die zum Teil sehr engen
Beziehungen zwischen den Juroren des Nobelpreis für Medizin und den Giganten
der Pharma-Industrie.
Letztlich wäre jede
Beschreibung der Mechanismen und der Kulissen des Nobel-Betriebs unvollständig,
wenn sie nicht dem Menschlichen-Allzumenschlichen Rechnung trüge: somit geht es
auch um die Bestrebungen unzähliger bekannter Persönlichkeiten, für sich selbst
diese Auszeichnung zu ergattern. Er gilt als Gipfel des beruflichen Erfolgs und
als weltweite Anerkennung, mit der nicht selten erhebliche finanzielle Vorteile
einhergehen, Grund genug, um die Begehrlichkeit all jener hervorzurufen, die um
Anerkennung, Ruhm und Geld buhlen.
Bereits zu Beginn waren die Nobelpreise Anlass zu Kampagnen, um einzelne Kandidaten
zu unterstützen. Je grösser ihr Prestige, desto heftiger der Lobbyismus: vom
einfachen Höflichkeitsbesuch über die Einschaltung mehr oder minder
einflussreicher Mittelsmänner und bis hin zu Geschenken, die Palette der
Versuche der Einflussnahme ist breit. Der skandinavische Geist, so zumindest
wird in Oslo und Stockholm versichert, ist mit diesen Vorgehensweisen
unvereinbar. Was wiederum keineswegs bedeutet, wir werden es sehen, dass die
Nobel-Komitees in ihren Entscheidungen unbeeinflusst bleiben.
A. J.
Histoire du prix Nobel
Antoine
Jacob
François
Bourin Editeur, Paris, 2012, 240 pages
http://www.bourin-editeur.fr/fr/books/histoire-du-prix-nobel
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